Von Gastautorin Jieun Kim
Am 22. Mai 1897 wurde im K. K. Hof-Operntheater in Wien das Ballett Die Braut von Korea uraufgeführt – ein Wiener Ballett vor mehr als 120 Jahren mit einem koreanischen Thema, ist das nicht erstaunlich? Dieses Ballett erhielt zu seiner Zeit in allen Aspekten der Musik, Handlung und Choreografie große Aufmerksamkeit von den Medien. Nach seiner 38. Vorstellung im Mai 1901 verschwand es jedoch plötzlich aus dem Repertoire des Balletts an der Wiener Hofoper. Im Jahr 2012 wurde das Autograph der Partitur durch den koreanischen Historiker Prof. Dr. Hee-Seok Park in den Archiven des Robert Lienau Verlags wiederentdeckt. 2021 erscheint beim Musikverlag Robert Lienau, der von Schott Music administriert wird, eine moderne Übertragung der Partitur. Dies bedeutet, dass das Ballett, das seit einem Jahrhundert vergessen war, zu einer vollständigen Aufführung wiederhergestellt werden kann. Wie wurde Korea Ende des 19. Jahrhunderts im Wiener Ballett gezeichnet? Warum wurde es so unvermittelt vom Spielplan gestrichen?
Besetzung und Handlung
Das Ballett besteht aus vier Akten und neun Bildern mit großem Orchester. Die Musik wurde von Josef Bayer komponiert, der damals Kapellmeister und Leiter des Balletts der Wiener Hofoper war. Bayer hat mehrere Ballette (darunter auch Die Braut von Korea) mit dem Librettisten Heinrich Regel und dem Tanzmeister und Choreografen Josef Hassreiter produziert. Nach Angaben des Wiener Theaterarchivs traten bei der Uraufführung des Balletts mehr als 30 Tänzer auf. Das Autograph von Bayers Partitur umfasst über 500 Seiten. Die Aufführungszeit beträgt ca. zwei Stunden.
Das Ballett handelt von einer fiktionalen Liebesgeschichte zwischen dem koreanischen Prinzen und seiner Braut Daisha. Der Handlung liegt ein reales Ereignis, nämlich der Erste Japanisch-Chinesische Krieg (1894-1895), zugrunde. Im Jahr 1895 erschien der Balletttext beim Berliner Musikverlag Schlesinger. In Anbetracht dessen wird vermutet, dass Regel das Libretto geschrieben hat, während er über die Medien live auf die Kriegsnachrichten aus Korea zugegriffen hat. Wahrscheinlich hat Regel Korea nie besucht.
Die Heldin Daisha folgt ihrem geliebten Prinzen, verkleidet sich als Schiffsjunge und zieht in den Krieg. Sie rettet den Prinzen aus der Gefangenschaft im japanischen Lager, mithilfe einer Liebesgöttin. Die Hauptcharaktere müssen mehrere Krisen überwinden, bevor sie das Happy End, eine große Hochzeit im Garten des koreanischen Prinzen, feiern dürfen.
Besonderheit des Balletts

Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen Korea und Österreich von 1892
Zuerst ist es sehr auffällig, dass Regel und Bayer sich aus ihrer Sicht mit einem unvertrauten Land sowie den jüngsten Ereignissen dort befassten. Dieser Versuch sieht in den 1890er Jahren nicht einfach aus und forderte sowohl vom Librettisten, dem Komponist und der Regie als auch von den Tänzerinnen viel Fantasie, Mühe und Recherche. Durch das Ballett konnte das Wiener Publikum „reale Bilder aus der Jetztzeit mit einer romantischen Handlung“[1] im fernen Osten erfahren.
Als Zweites muss die positive und selbstbestimmte Haltung der Heldin Daisha erwähnt werden. Sie ist keine passive Frau, die nur auf ihren Geliebten (den Prinzen) wartet. Sie schont sich nicht für ihren geliebten Menschen. Sie hat den Mut, mit ihrer geliebten Person in den Krieg zu ziehen.
Zuletzt bietet das Ballett aus der Sicht der Multikulturalität mehrere Sehenswürdigkeiten. In diesem Ballett erscheinen einzelne Tänze, deren Ländernamen in den Tanztiteln genannt werden, wie Valse chinois, altjapanischer Kriegstanz, siamesischer Tanz und javanischer Tanz. Es gibt keinen Tanz namens ‚Korea‘. Aber es ist zu vermuten, dass der Fächertanz im vierten Akt, der Zu Söuil, im Theegarten des Prinzen von Korea aufgeführt wird, ein ‚koreanischer Tanz‘ ist. Die Tänze aus unterschiedlichen Ländern und die dazugehörigen Trachten müssen für das Wiener Publikum interessant gewesen sein. Es ist jedoch nicht klar, ob (und wenn ja, inwieweit) die Choreografien des Stückes wirklich mit jeder Tradition zusammenhängen.
Koreanische Elemente im Ballett und Missverständnisse über Korea

Szenenfoto mit Sironi als „Daisha“, Godlewsky als als „Prinz von Korea“. Im Bilde links Herr Mazzantini als „Geoskop“. Hofoper, Wien. © Theatermuseum, Wien
Dieses Ballett zeigt, wie die österreichischen Künstler damals koreanische Elemente verstanden und für das Schaffen des Werkes eingesetzt haben. Erstens spielt der dritte Akt Im Hafen von Chemulpo im Hintergrund von Chemulpo, einem Hafen, der in der späten Joseon-Dynastie eröffnet wurde und heute Incheon entspricht. Der Haus-Geoskop im zweiten Akt In der Opiumhöhle, entspricht wahrscheinlich einem Geomanten der ostasiatischen Tradition, den man mit einem westlichen Astrologen, vergleichen kann.
In diesem Ballett werden verschiedene Kostüme aus Korea und anderen asiatischen Ländern wie Gerichtskleidung, allgemeine Volkskleidung und Soldatenkleidung vorgestellt. Es ist bekannt, dass in Wiener Inszenierung von 1897 mehr als 300 Kostüme verwendet wurden, daraus kann man die Größe und Pracht des gesamten Balletts erraten. Die meisten Medien stellten sie damals jedoch nur als „japanisch-chinesische Kostüme“ vor. Dafür kommen zwei Gründe in Betracht: Sie waren möglicherweise nicht in der Lage, echte koreanische Trachten zu bekommen, oder die Menschen wussten zu dieser Zeit nicht viel über das Land Korea.
In der Musik sind koreanische (oder ostasiatische) Elemente wie traditionelle Rhythmen, Tonleitern oder Instrumente selten zu finden. Im Vergleich zu seinen anderen Balletten gibt es jedoch viele Teile, in denen der Melodieverlauf für das damalige Wiener Publikum etwas exotisch klingen könnte. Andere Teile, die mit Liebe und Freude zu tun haben, wurden in einem typischen Wiener Walzerstil mit einer eleganten Begleitung zu einer niedlichen und sanften Melodie komponiert
Die Absetzung des Balletts

Regels Artikel über die Absetzung des Balletts in der Zeitschrift „Die Bühne“ von 1933
Der Versuch dieses Balletts, „eine Balletfabel nach älterem Style mit einem modernen Balletrealismus zu verbinden“,[2] wurde damals von der Presse hoch gelobt. Dieses Ballett ist jedoch seit seiner letzten Aufführung am 2. Mai 1901 nicht mehr im Wiener Ballettrepertoire zu finden. Der Grund war ein Befehl des damaligen Ministers des Äußeren, Graf Goluchowski. Er hatte gute diplomatische Beziehungen zu Russland. Goluchowski nahm am 14. April 1901 an der Ballettaufführung zu Ehren des deutschen Kronprinzen teil. Erst 1933 erinnert sich Regel öffentlich in der Zeitschrift Die Bühne an die damalige Situation (Goluchowski starb 1921): „Das japanische Siegesfest in dem Ballett, das nach Ansicht des Ministers leicht Anlaß zu Demonstrationen gegen unsern östlichen Nachbar [Russland] und zeitweise Verbündeten bieten konnte, veranlaßt ihn, hohen Ortes die Absetzung des Balletts zu beantragen. […] So kam es, daß ein Diplomat, der Angehörige einer Zunft, die sonst dem Ballett nicht feindlich gegenübersteht, ausnahmsweise einem solchen den Lebensfaden abschnitt.“[3]
Goluchowski missverstand das ‚japanische Siegesfest‘ im Kontext des gesamten Balletts. Es ist wahr, dass Japan den Krieg gewonnen hat, aber in diesem Ballett ist das japanische Fest nur ein Teil der Handlung. In der japanischen Militärszene im dritten Akt werden die japanischen Soldaten nicht als nur heldenhaft dargestellt, sondern ironischerweise als Bösewichte, die den Prinzen und seine Braut in die Krise drängen.
Das Leben des beliebten Balletts wurde also auf Befehl eines Diplomaten unterbrochen. Heutzutage ist es selbstverständlich, dass Kunst und Politik getrennt werden, aber damals gestaltete sich das als schwierig. Nichtsdestotrotz ist die Partitur, die seit mehr als 100 Jahren geschlafen hat, jetzt wieder in unserer Hand. Auf eine Reproduktion und Neuinterpretation von Die Braut von Korea auf der Wiener Bühne darf man gespannt sein.
[1] Neus Wiener Tagblatt, 23.5.1897, <https://anno.onb.ac.at/cgi-content/annoshow?call=nwg|18970523|8|100.0|0>, abgerufen am 3.2.2021.
[2] Neus Wiener Tagblatt, 23.5.1897.
[3] Heinrich Regel, »Aus der Glanzzeit des Wiener Balletts«, in: Die Bühne, Heft 349, S. 18, < https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=bue&datum=1933&pos=357&size=45>, abgerufen am 3.2.2021