von Gastautorin Alexandra Schiefert (Dozentin über Korean Cinema an der Universität Wien)

Bong Joon-ho bei der Oscar Verleihung 2020 Quelle: Yonhap News
Vor einigen Jahren noch ein Wunschtraum, heute gar nicht mehr so abwegig: Koreanische Filme finden immer öfter ihren Weg nach Europa und werden auch bei uns entweder in Originalsprache mit Untertiteln oder als deutsche Synchronfassung in den Kinos gezeigt. So erhalten die Filme nicht nur international die Aufmerksamkeit, die sie verdienen, sondern auch die entsprechende Anerkennung. Daher möchten wir euch an dieser Stelle drei der bekanntesten koreanischen Regisseure näher vorstellen und ihren Werdegang ein wenig beleuchten.
And the Oscar goes to…
Regisseur Bong Joon-ho hat bei der Oscarverleihung im Februar 2020 Geschichte geschrieben: Bereits als er das erste Mal auf die große Bühne gerufen wurde („Bestes Originaldrehbuch“), spätestens aber, als er Hollywood-Legenden wie Martin Scorsese und Quentin Tarantino auf die hinteren Plätze verwies und letztlich den Oscar für den „Besten Film“ entgegennehmen durfte. Nicht wenige mussten wohl schmunzeln, als sich Bong bedankte und sich dabei an seine ebenfalls nominierten Kollegen wandte: „Wenn mir die Academy eine Kettensäge gibt, würde ich diese Trophäe zerteilen. Danke. Jetzt werde ich bis morgen früh trinken.“
Bong ist das jüngste von vier Kindern und wurde 1969 in Daegu geboren. Schon früh, praktisch von Kindesbeinen an, wusste er, dass er selbst später einmal Filme machen wollte. Wegweisende Einflüsse waren Alfred Hitchcock, dessen Film Psycho (1960) Bong bereits im zarten Alter von acht Jahren zum ersten Mal sah, aber auch die französischen Regisseure Claude Chabrol und Henri-Georges Clouzot, die bis heute als Meister des Spannungskinos gelten.
Das Grundelement von Bongs Filmen ist, wie er selbst gesagt hat, Humor. Ohne Humor könnte er nicht arbeiten. So ist es genau dieser Humor – teils (dunkel)schwarz, teils beinahe bitter-anmutend –, der sich durch die Werke des Südkoreaners zieht: Sei es nun der Debütfilm Barking Dogs Never Bite /Hunde, die bellen, beißen nicht (2000; OT: 플란다스의개), der in so manchen Szenen geradezu „unangenehm lustig“ erscheint, oder Parasite (2019; OT: 기생충), der von der deutlich aufgegangenen Schere zwischen Arm und Reich in Südkorea handelt und ebenfalls eine faszinierende Balance zwischen subversivem Humor und plötzlicher Gewalt findet.
Anstöße für neue Filme scheint Bong Joon-ho praktisch überall finden zu können, seien es nun Zwischenfälle, auf die er über verschiedene Medien aufmerksam wird, oder ganz persönliche Erfahrungen, die er letztlich für einen Film adaptiert.
Für das Debüt war es der tote Hund, den er in seiner Jugend auf dem Dach eines Wohnhauses fand; für Memories of Murder (2003; OT: 살인의추억) wiederum ließ er sich von damals noch ungelösten Mordfällen inspirieren, und auch The Host (2006; OT: 괴물), der ihm zum internationalen Durchbruch verhalf, entstand nur, weil in einem Artikel von „mutierten Fischen“ die Rede war. Im Gegensatz dazu reichte es für die Netflix-Produktion Okja (2017) schon aus, ein Schwein am Straßenrand entlangspazieren zu sehen. Auch Parasite ist auf diese Art entstanden, denn Bong arbeitete in seiner Jugend selbst als Tutor. Er berichtete, dass er sich dabei immer so gefühlt hatte, als würde er die reiche Familie ausspionieren. Er sei allerdings schon nach zwei Monaten wieder gefeuert worden, da er lieber mit seinem Schützling geplaudert hatte, als ihn zu unterrichten…
Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird (Und dreifach)
Abseits von Bong Joon-ho und dessen Spielfilm Parasite hat vor allem ein Regisseur das koreanische Kino nachhaltig geprägt: Park Chan-wook. Seine Filme sind eher düster, sparen sicherlich nicht mit Gewalt und sind nur selten für zarte Gemüter geeignet. Und trotzdem, zwei Schlagwörter, die immer wieder mit Park in Verbindung gebracht werden, sind Eleganz und (filmische) Poesie.
Park Chan-wook wurde 1963 in Seoul geboren und studierte an der Sogang Universität Philosophie. In Interviews erinnert er sich gerne an die Zeit, als er noch ein Kind war und sich mitten in der Nacht heimlich westliche Filme auf dem alten Schwarz-Weiß-Fernseher seiner Eltern angesehen hat. (Natürlich ohne auch nur ein Wort Englisch zu sprechen.) Auch Regisseur Park nennt Alfred Hitchcock als Inspiration (vorrangig den Film Vertigo von 1958), jedoch hebt er stark hervor, dass es The Housemaid (1960; OT: 하녀) von Kim Ki-young war, der den Stein erst ins Rollen brachte und seine Leidenschaft für den Film weckte.
Seine ersten Spielfilme brachten zunächst keinen großen Erfolg; der Durchbruch folgte erst im Jahr 2000 mit Joint Security Area (OT: 공동경비구역JSA). Die bis dato größte Aufmerksamkeit erhielt er jedoch mit seiner „Rache-Trilogie“, bestehend aus Sympathy for Mr. Vengeance (2002; OT: 복수는나의것), Oldboy (2003) und Lady Vengeance (2005; OT: 친절한금자씨). Drei Filme, die in sich abgeschlossen, aber durch das Motiv der Rache verbunden sind. Die Protagonisten geraten hier auf die eine oder andere Art in eine Spirale der Gewalt, die sie selbst (teils bewusst, teils unbewusst) in Gang gebracht haben. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen, die Zuseher werden mit Abgründen der menschlichen Psyche konfrontiert; und Park scheint hier außerdem besonderen Fokus auf Ästhetik gelegt zu haben, denn er schafft Bilder, die noch lange nachwirken und sich geradezu einbrennen zu scheinen.
Vor seinem US-Debüt mit Stoker (2013) lieferte Park Chan-wook den „überraschend leichten“ und wenig düsteren Film I’m A Cyborg, But That’s OK (2006; OT: 싸이보그지만괜찮아), gefolgt von Thirst / Durst (2009; OT: 박쥐), der sich wieder in gewohnter Manier entfalten durfte. Tatsächlich stellte Stoker den Regisseur wohl vor einige Frustrationen, da ihn das Studio zu sehr in seiner Freiheit hatte einschränken wollen. So kehrte er mit The Handmaiden / Die Taschendiebin (2016; OT: 아가씨), seinem derzeit letzten Spielfilm, nach Südkorea zurück.
Es ist schwierig, Parks Filme einem Genre zuordnen zu wollen, handelt es sich doch oftmals um Genrehybriden. Der Regisseur arbeitet für gewöhnlich wochenlang an seinen Skripten, achtet penibel auf die Story und seine Figuren – Nebencharakteren wird ebenso viel Leben eingehaucht wie den Hauptfiguren – und baut dabei zahlreiche Wendungen ein, die ein komplexes Ganzes ergeben. Er versteht es, mit seinen Filmen frischen Atem in bereits „verbrauchte“ Themen zu hauchen, und bietet somit Erstsehern, aber auch „Wiederholungstätern“ beste Unterhaltung.
Impressionen des alltäglichen Lebens
Er ist längst Dauergast bei verschiedenen Filmfestivals, hochgeschätzt als Filmemacher, aber in seiner Heimat Südkorea tatsächlich weniger erfolgreich als in Europa (vorrangig Deutschland und Frankreich). Regisseur Hong Sang-soo, der seit nunmehr 24 Jahren im Filmgeschäft tätig ist und in dieser Zeit 25 Filme gedreht hat, sollte jedem Liebhaber von gutem Kino ein Begriff sein.
Hong, geboren 1961 in Seoul, studierte an der Chung-Ang-Universität, wobei er hier laut eigenen Angaben ein paar Mal die Fachrichtung wechselte. Letztlich landete er (über einen glücklichen Zufall) an einer Kunstschule in Chicago – in einem Interview erzählte er dazu, dass er im Ausland hatte studieren wollen; wo, sei egal gewesen, „Hauptsache günstig“.
Sein Filmdebüt gab er im Alter von 35 Jahren mit dem Film The Day a Pig Fell into the Well (1996; OT: 돼지가우물에빠진날). Schon hier scheint sich die Geschichte geradezu „beiläufig“ zu entfalten, und man ist geneigt, seine Filme als „unspektakulär“ bezeichnen zu wollen; zumindest auf den ersten Blick. Seine Filme erzählen auf oft irritierend-humorvolle Art von menschlichen Beziehungen, von Begehren und Scham, Liebe zwischen Männern und Frauen, aber auch von männlichem Selbstmitleid, Versagen im Beruf und letztlich vom Tod. Die Figuren in Regisseur Hongs Filmen treffen keine wichtigen Entscheidungen, sie trinken, sie reden und gelegentlich geben sie sich der schönsten Nebensache der Welt hin. Böse Zungen würden behaupten, dass hier immer wieder „der gleiche Film“ gedreht wird, doch tatsächlich scheinen seine Werke gerade durch mehrmaliges Ansehen zu gewinnen.
Mit den Jahren kann man ein paar Veränderungen in Hongs Filmen feststellen. Seine ersten drei Spielfilme basierten auf einem fertigen Drehbuch, etwa 30 Seiten lang. Mittlerweile sieht es anders aus: Er hat eine Struktur, doch der Rest, meint er, „fliegt ihm so zu“. Daher sind ihm die Persönlichkeiten der Schauspieler auch so wichtig; es spielt für ihn keine Rolle, welche Figuren sie bisher gegeben haben, viel wichtiger sei der Eindruck, den sie hinterlassen. Und so lässt der Regisseur seine Akteure teilweise improvisieren, gibt oft nur kurze Dialoge vor und wartet ab, wie sich eine Szene entwickelt. (Sollten sich dabei „Störfaktoren“ wie ein anderer Lichteinfall oder ein vorbeifahrendes Auto hinzugesellen, umso besser.)
Der erste Film von Hong, der regulär in den deutschen Kinos gezeigt wurde, war Right Now, Wrong Then (2015; OT: 지금은맞고그때는틀리다). Und auch sein bislang letzter Film The Woman Who Ran (2020; OT: 도망친여자) fand seinen Weg nach Europa. Schon früh wurde der Film als Höhepunkt im Wettbewerb der Berlinale 2020 (Februar-März 2020) bezeichnet, und so war es nicht verwunderlich, dass Hong für dieses Werk den „Silbernen Bär für die Beste Regie“ erhielt.
Obwohl in den 80 Minuten Spielzeit von The Woman Who Ran nicht allzu viel passiert, schwingt doch das gesamte der Leben der Figuren mit. Männer sind hier nur ein Gesprächsthema, es ist ein Film der Frauen. Gesprächssituationen, lange statische Einstellungen, gelegentlich ein Zoom oder Schwenk – ein Gesamtkunstwerk (und das, obwohl für Hongs Verhältnisse sehr wenig Soju getrunken wird).