Von Gastautor C. Karl Pratsch (Koreanologie-Student der Universität Wien)
Comics und deren vielfältige, oft lokal geprägte Ableger, sind heutzutage aus der Jugend- und Populärkultur kaum noch wegzudenken. Insofern ist es auch wenig verwunderlich, dass sich ebenso ostasiatische Comicvariationen inzwischen in Österreich etabliert haben. Japanische Manga erfreuen sich in den letzten Jahren einer konstanten Beliebtheit unter hiesigen Fans und bilden ein zentrales Element in jugendlichen Leseabenteuern. Seit beinahe zwanzig Jahren findet mit der AniNite zudem alljährlich die größte Japanconvention Österreichs statt, bei der den künstlerisch wertvoll ausgestalteten Büchlein neben den Animeproduktionen ein weiteres wichtiges Standbein gewidmet wird. Bei all dem Treiben rund um die populären Manga tritt jedoch in den Hintergrund, dass es auch in anderen ostasiatischen Staaten derartig ausgeprägte Genres gibt. Sind es im chinesischen Bereich die Manhua, erfreuen sich in Korea die (Hanguk) Manhwa einer enormen Popularität. Während man nun also mit Manhwa im deutsch- und englischsprachigen Raum generell koreanische Comics meint, bedeutet das Wort im Koreanischen schlichtweg ‚Comic‘, wodurch man hier mit dem Zusatz Hanguk für Korea verdeutlicht, dass es sich um einen koreanischen Comic handelt. Natürlich hat sich auch eine Umschrift für Manga im Koreanischen eingebürgert, dennoch ist es auch hier nicht unüblich von Ilbon Manhwa, also ‚Japan Comics‘ zu sprechen.

Ausstellung in einem Manhwa-Museum im Dezember 2007.
Quelle: Jinho Jung https://www.flickr.com/photos/phploveme/2097437720/
Manhwa sind im deutschsprachigen Raum noch ein weitgehendes Nischenprodukt, welches wohl eingefleischten Koreafans bekannt sein dürfte, darüber hinaus jedoch bei weitem nicht die Aufmerksamkeit wie eben Manga oder amerikanische Comics à la Marvel und DC-Produktionen erfährt. Dennoch zeigt sich auch in diesem Bereich eine erste Öffnung im Zeichen des kulturellen Austausches und der sogenannten Korean Wave (Hallyu), welche in den letzten Jahren immer mehr populärkulturelle Elemente Koreas in andere Staaten exportiert. Bereits 2004 gab es mit dem „Intensivkurs Manhwa Mania: Koreanische Comics zeichnen Mit Schritt-für-Schritt-Abbildungen“ des Autors Christopher Hart ein Tutorial in Buchform, um die beliebtesten Manhwa-Helden selbst nachzeichnen zu können. 2006 folgte die deutsche Übersetzung des Werkes.
Die Geschichte der Manhwa
Der Begriff Manhwa selbst, kam in Korea bereits in den 1920er-Jahren auf. Das Land befand sich zwischen 1910 und 1945 unter japanischer Besatzung, wodurch sich Elemente der japanischen Sprache und Kultur in der koreanischen Gesellschaft etablieren konnten. Gerade in dieser frühen Zeit der japanischen Besatzung wurden derartige Comicstrips verstärkt dazu verwendet, künstlerisch eine sozialkritische Haltung gegenüber der herrschenden Elite zu artikulieren. Dies hatte zur Folge, dass in der Mitte der 1920er-Jahre die meisten politischen Zeitungen aufgelöst und Zeichnungen mit politischem oder sozialkritischem Inhalt zugunsten von humorvollen und harmlosen Illustrationen für Kinder aufgegeben wurden.
Erst mit der Gründung der Republik Korea im Jahr 1948 kehrten die politischen Comicstrips wieder zurück. Eine weitere Steigerung der Popularität erreichten die zeichnerischen Ausdrucksmittel während des Koreakrieges, als sie zu einem beliebten Propagandamittel beider Seiten wurden. In der Zeit nach dem Koreakrieg wurden auf Kinder zugeschnittene Manhwa sehr beliebt, doch schon bald brachen die Verkaufszahlen ein. Hierdurch ermutigt, etwas zu unternehmen begann man bald darauf Leihgeschäfte für Manhwa zu eröffnen; die Vorläufer der noch heute populären Manhwabang. Dort können sich die Leserinnen und Leser Manhwa zu günstigeren Preisen ausleihen oder gleich vor Ort genießen. Dennoch brachte diese Herangehensweise gerade in seiner Anfangszeit Nachteile in Form von weniger qualitätsvollen Manhwa zu Tage. Dadurch sahen sich wiederum die Manhwaga, also die Künstlerinnen und Künstler der Branche dazu veranlasst, sich zu Interessenverbänden zusammenzuschließen mit dem Ziel, die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern. Dies führte dazu, dass die Vielfalt der inhaltlichen Ausrichtungen und Themen zum Entstehen neuer Subgenres beitrug. So entstanden beispielsweise die romantischeren und vornehmlich auf ein weibliches Publikum zugeschnittenen Sunjeong Manhwa oder die als Myungrang Manhwa bekannten Kindercomics, die vorwiegend Alltagsthemen humorvoll behandeln. Nachdem in der Mitte der 1960er-Jahre die koreanische Regierung eine Monopolstellung auf dem Manhwamarkt erreicht hatte begannen jedoch zwei dunkle Dekaden für die koreanische Comicindustrie.

Lee Sang Moo’s Manhwa-Serie ‚Run, you Slowpoke!‘ aus den 1970er Jahren
Aufgrund der geringen lokalen Produktion mussten in den 1970er-Jahren unterhaltende Druckwerke zunehmend aus Japan importiert werden. Dadurch wurden auf Erwachsene zugeschnittene Themen in der Comicbranche omnipräsent, wodurch es in den 1980er-Jahren aufgrund eines restriktiven Jugendschutzgesetzes erneut zu einer verstärkten Anwendung der Zensur und großangelegten Verlagsschließungen seitens der Regierung kam. Nach der Demokratisierung des Landes 1987 wurde entschieden, dass lokale Verlage, die sich zuvor bei der Regierung registriert hatten, ohne eine vorherige Zensur ihre Druckwerke publizieren durften, wodurch die Comicindustrie in Korea erneut auflebte. Verkaufsmöglichkeiten im Online-Bereich oder gar online veröffentlichte Manhwa, welche auch Webtoons genannt werden, trugen noch weiter zur allgemeinen Verbreitung dieser besonderen literarischen Kunstform bei.
Manhwa und Manga – eine nicht unähnliche Beziehungsgeschichte
Insgesamt blieb die Branche dabei beständig von den japanischen Manga beeinflusst, wenngleich es auch wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Genres gibt. Die Zeichnung der Charaktere weist, obwohl sie sehr ähnlich ist, stilistisch eine etwas andere Ausgestaltung auf: Gesichtspartien und Augen werden in Manhwa weicher und realistischer gezeichnet als in Manga. Auch inhaltlich setzen Manga und Manhwa andere thematische Schwerpunkte. Manga konzentrieren sich mehr auf die Erzählung an sich, während Manhwa sich auf die Entwicklung der Charaktere und ihrer Hintergründe fokussieren. Insofern ist es plausibel davon zu sprechen, dass die Ausrichtung von Manhwa im Allgemeinen konservativer als die der Manga ist, da die Geschichten oftmals realistischere Themen behandeln, wenngleich es ebenso einen nicht unerheblichen Anteil an Manhwa im Science-Fiction oder Fantasy-Bereich gibt. Auch die Leserichtung, welche bei Manga traditionell von rechts nach links angelegt ist, erfolgt bei Manhwa typischerweise von links nach rechts.

BesucherInnen des 20. International Comic Festivals (2017) lesen im Korea Manhwa Museum in Bucheon, Provinz Gyeonggi-do, Online-Manhwa mithilfe von VR-Geräten. (Korea Manhwa Contents Agency)
Mittlerweile wird die lokale Produktion der Comics auch von höchster Ebene gefördert. Staatliche Subventionen und Ausstellungen in Museen oder Bibliotheken sind keine Seltenheit mehr und helfen der koreanischen Comicindustrie sich von dem japanischen Pendant abzugrenzen. Manhwa werden inzwischen auch in herkömmlichen Buchhandlungen verkauft, was die öffentliche Wahrnehmung der Werke aufwertete und sie zugänglicher für ein breites Publikum machte. Kurse an Universitäten widmen sich dem Zeichnen und Illustrieren und engagieren sich so für die Akzeptanz von Manhwa als Kunstform. Auch in Europa und in den Vereinigten Staaten werden Manhwa populärer in der Hoffnung, ein neues Publikum erschließen zu können. Im Jahr 2003 waren Manhwa als ein neues Genre erstmals Bestandteil des bekannten internationalen Comicfestivals von Angoulême, welches seit 1974 organisiert wird und als besuchsstarker Hotspot der Branche gilt.
Bekannte Manhwa-Titel, welche auch in deutscher Sprache verfügbar sind wären zum Beispiel die im Fantasymärchen-Bereich angesiedelte Serie „Ciel – Der letzte Herbst“ der Zeichnerin Rhim Ju-yeon, welche es schafft durch die reichhaltigen Kostüme die Atmosphäre eines fiktiven viktorianischen Zeitalters zu rekreieren. Auch das Kriegerabenteuer „Chonchu – Der Erbe desTeufelssteins“ von Kim Sung-Jae und Kim Byung-Jin brachte es zu einer gewissen Popularität in deutschsprachigen Fankreisen, woran sich zeigt wie unterschiedlich die inhaltlichen Leitthemen ausgestaltet sein können. Wagemutige Krieger, romantische Atmosphären oder schlichter Alltag: nichts bleibt im Bereich der Manhwa unangetastet und so finden Fans je nach Geschmack ihre Lieblinge.
Manhwa in der Geschichtsvermittlung

Keum Suk Gendry-Kims Werk in seinen englischen und französischen Versionen.
Dass Manhwa inzwischen auch für geschichtliche Themen sensibilisieren könnenzeigt sich an dem Graphic Novel „Grass“, welches die südkoreanische Comiczeichnerin Keum Suk Gendry-Kim 2018 veröffentlichte. Auf eindrucksvolle und zugleich berührende Art und Weise schildert sie in ihrem Werk in einem Zeitzeuginnengespräch eine Begegnung mit einer sogenannten „Trostfrau“, die über das ihr zugestoßene Schicksal während des Zweiten Weltkrieges Auskunft gibt. Im Jahr 2019 erschien das Werk, welches auf einer wahren Begebenheit basiert, in einer englischen Fassung in dem in Montreal ansässigen Verlag„Drawn and Quarterly“, deren Version 480 Seiten aufweist. Die Übersetzung nahm die kanadische Schriftstellerin Janet Hong vor. Die innovative Auseinandersetzung Gendry-Kims mit der „Trostfrauen“-Problematik im Comicformat fand auch in den koreanischen Medien eine durchwegs positive und vor allem häufige Erwähnung. Weitere Übersetzungen in mehrere Sprachen, darunter auch in Japanisch sind geplant. Das Werk war 2019 sogar Teil der alljährlich in Paris stattfindenden „Japan Expo“, wodurch sich zeigt, dass das Medium Comic/Manhwa auch mit ernsterer Themensetzung immer mehr akzeptiert wird. Noch Anfang 2014 gab es eine Auseinandersetzung zwischenKorea und Japan um Manhwa, die sich mit der „Trostfrauen“-Problematik beschäftigen, als diese beim Comicfestival in Angoulême ausgestellt werden sollten.
Die Feindseligkeiten eskalierten dabei so weit, dass die japanische Botschaft in Frankreich zu intervenieren versuchte. Auch das japanische Außenministerium äußerte sich öffentlich unzufrieden mit der Organisation der Veranstaltung und dem Verhalten der koreanischen Regierung. Von derartigen Vorgängen war imNachgang von „Grass“ nichts mehr zu spüren, wodurch den Manhwa nun auchdie Möglichkeit gegeben wird, im Bildungsbereich verstärkt funktionalisiert zu werden. Jugendliche können so einen komplett neuen, innovativeren Zugang zu den präsentierten Thematiken bekommen. Gezeichnete Werke werden allgemein als spannender und oftmals anziehender als lediglich gedruckte Erzeugnisse empfunden, denn es öffnen sich kleine Welten, die es für die jugendlichen Leserinnen und Leser zu entdecken gilt. Dadurch darf man ein erhöhtes und tiefgreifendes Verständnis der dargebotenen Thematik ebenso erwarten, was sich letztlich rundum positiv auswirkt. Insofern könnte dasManhwa „Grass“ eine Vorreiterrolle im geschichtlichen Bildungssektor einnehmen und dabei gleichzeitig die ansonsten lediglich in den Feuilletons hiesiger Qualitätszeitungen behandelte „Trostfrauen“-Problematik einer größeren Öffentlichkeit fassbar aufbereiten und die allgemeine Bekanntheit der Manhwa auch hierzulande noch weiter erhöhen.