Von Gastautorin Elif Koca (Koreanologie-Studentin der Universität Wien)
K-Pop ist schon längst ein fester Bestandteil der globalen Musikwelt. Wie genau Musikvideos dazu beitragen, haben wir uns in diesem Artikel genauer angesehen.
Ein Video verändert die Musikwelt
“Video killed the Radiostar” sang die Band “The Buggles” bereits in den 80ern und zutreffender hätte dieser Titel wohl nicht sein können. Musikvideos lassen sich aus der Popmusik schon lange nicht mehr wegdenken und kreieren den Künstler*innen – Status von Pop Acts immer mit. Allen voran war es Michael Jackson mit “Thriller”, den tanzenden Werwölfen, der ikonischen Choreographie und aufwändigster Videoproduktion, der die Zukunft der Popwelt veränderte. Seither sind Musikvideos eine eigene Kunstform, die das Hören von Liedern mitbestimmt. Das kommt natürlich aber nicht gerade billig. Das Budget, das Videos von dieser Skala bis in die frühen 2000er bedurften, war riesig. Vielleicht ist das auch der Grund warum in den letzten Jahren in der westlichen Welt der Zugang zu Musikvideos simpler und vor Allem kostengünstiger wurde.
YouTube und die koreanische Welt der Musik

Screenshot von “Gangnam Style” Musikvideo © YG Entertainment
Spulen wir vor ins Jahr 2012. Ein Musikvideo wird schon bald zum meistgestreamten Song auf YouTube, bricht alle erdenklichen Rekorde und ist bis heute weltweit für seinen Tanz und seinen immens hohen Wiedererkennungswert bekannt. “Gangnam Style” ist das erste südkoreanische Musikvideo, das auf YouTube Rekorde bricht. Auch nach weiteren viralen Hits auf YouTube bleibt das Video zu “Gangnam Style” das fünftmeist gesehene Video.
K-Pop und die “Stan” – Kultur
Zum Erfolg des Liedes verhalf vor Allem Twitter. Von Britney Spears bis zu Snoop Dogg, sie alle teilten das Video auf Twitter. Auch heute ist die Rolle von Twitter und soziale Medien sowohl für Fans als auch als Marketing-Strategie nicht wegzudenken. Virale Challenges befördern den Bekanntheitsgrad von Künstler*innen, in dem Fans den Mainstream für ihre Lieblingskünstlerinnen beanspruchen. Nichtsdestotrotz bleibt YouTube zentral für die globale Vermarktung von K-Pop. So ist zum Beispiel unter den Top 10 meist gestreamten Videos unter 24 Stunden nur ein Video nicht von koreanischen Künstler*innen [1]. Doch auch die Billboard Charts dienen als wichtiger Richtwert für den Erfolg von Music Acts und bereits in den 2000ern schafften einige Künstler*innen diesen Meilenstein.

Das binnen 24 Stunden am meisten gesehen Video ist nach heutigen Stand “Butter” von BTS. Screenshot von „Butter” Musikvideo © HYBE Labels
K-Pop Acts heben sich dadurch hervor, dass Fans zumeist deutlich loyaler sind als jene von westlichen Music Acts. Das bedeutet, dass Fans physische Alben kaufen, die Musikvideos auf diversen Plattformen streamen und Fanartikel erwerben. Physische Alben, zum Beispiel, erlebten in den letzten Jahren einen regelrechten Boom in K-Pop. Es ist nicht unüblich für die Top-Acts der koreanischen Musikszene wie BTS, BlackPink, NCT oder Seventeen weit über eine Million Alben zu verkaufen [2].

Sowohl BTS “Map of the Soul”, als auch NCT “Resonance Pt. 1” sind Alben aus den vergangenen Jahren und sind gemäß Forbes weiterhin unter den Top 10 der am meistverkauften Alben in den USA in der ersten Hälfte von 2021.
So auch während der Pandemie, von der die Industrie scheinbar unberührt blieb [3]. Man wechselte auf Online-Konzerte, mehr Content, mehr Comebacks und die Anzahl der internationalen Fans stieg mit. All das macht die K-Pop Industrie heute zu einer Milliarden Industrie, die regelmäßig Rekorde bricht und immer mehr den Ton in der globalen Musikindustrie setzt.
Musikvideos der Superlative
Das verwundert nur Wenige. Denn die Musikvideos von Gruppen wie BTS oder Blackpink zeugen von dem Höchsten, was ein Musikvideo schaffen kann. So wird das Image einer Gruppe gefestigt und immer wieder neu geschaffen und die einzelnen Künstler*innen als “unwiderstehlich” in Szene gesetzt. Und auch wenn die internationale Fanbase rund um K-Pop stetig wächst und jährlich ein paar dutzend neue Gruppen ihr Debut feiern, bleibt die Anzahl der Musikvideo-Regisseure überschaubar.

Screenshot von “How You Like That” Behind the Scenes Video © YG Entertainment
Der ehemalige Snowboarder Kim Sung-wook, zum Beispiel, ist der kreative Kopf hinter bahnbrechenden Musikvideos, wie BTS “Idol”, “Mic Drop” oder “Save Me”. Bekannt ist der Regisseur der Firma GDW für seine dynamischen und kreativen Videos, die die Energie und Synergie der Lieder und der Gruppe zu Geltung bringen. Er verzichtet auf statische Shots der Gesichter und konzentriert sich auf den Tanz und eine bedeutungsgeladene Storyline [4]. Mit einem präzisen Schema perfektionierte er seine Arbeitsweise von den ersten Überlegungen hin zu dem Endprodukt. Schlussendlich aber arbeitet ein Team von mindestens 50 Leuten wochenlang an der Fertigstellung des Musikvideos. Das heißt Team-Arbeit ist und bleibt der wichtigste Teil des Videos.
Der Weg zum Musikvideo
Den Anfang aber macht Kim mit dem Storyboarding. Hier illustriert er Schnitt für Schnitt die Musikvideos, um so die Story, das Design, die Schnitte zu visualisieren. Aber auch die Kamerabewegung, die Tänze, der Rhythmus und die diversen Kamerawinkel werden berücksichtigt.

In der YouTube Original Dokumentation “The Making of a K-Pop Music Video” zeigt der Regisseur wie er das Storyboard für Everglows “Dun Dun” fertigstellt. Screenshot von “The Making of a K-Pop Music Video” © Youtube
Sobald das Konzept und das Storyboard stehen, wird es an alle am Video arbeitenden Crew-Mitglieder geschickt und anschließend werden Sets, Styling und die gesamtheitliche Ästhetik des Musikvideos in Produktion gesetzt. Hinter jedem Schnitt, den Outfits und den Sets steckt die Intention, den Fans komplexe Interpretation zu ermöglichen. Einerseits motiviert das dazu, die Videos wiederholt zu schauen und immer neue Details zu entdecken, andererseits ist sich das gesamt Team bewusst, dass Fans jeden Schnitt und jedes Outfit auf die Spur gehen. Oft wird daher mit dem Grundprinzip der mise en scene gearbeitet, also dem Bildaufbau selbst, das ähnlich einem Gemälde eine Geschichte nacherzählt.

Der Regisseur Jo Beomjin fokussiert auf mise-en-scene und holt sich Inspiration hierfür oft aus experimentellen B-Side Filmen. Der Kurzfilm zu Sik-K “Tell Ya” und “Darling” ist ein Beispiel hierfür. Screenshot von “Tell YA! Darling” © H1GHER
Narrative, Konzepte und Choreographien
K-Pop Videos verfolgen viel häufiger als im westlichen Pop eine Storyline und ein Konzept, dass die einzelnen Elemente des Videos leitet. So können universale Emotionen kommuniziert und Geschichten erzählt werden. Die Beherrschung der koreanischen Sprache soll keine Voraussetzung sein, um die Musik genießen zu können. Musik-Labels und Regisseure wollen so ein globales Publikum ansprechen. Metaphern, Verkörperung von Archetypen, Choreographien und Mimik schaffen eben das. Bekannt für das Spiel mit Metaphern und Lyrics ist das LUMPENS Team. Symbolismen, Narrativen treffen hier auf dunkle Untertöne und düstere Belichtung.

Das Video zu “Gashina” lebt von dichotomen Schnitten. Die Sängerin Sunmi setzt mit Mimik die wichtigsten und bekanntesten Elemente des Videos in Szene. Screenshot von “Gashina” Musikvideo © Makeus Entertainment

Von Nietzsche, hin zu Luzifer. Das Lumpen Team setzte in BTS Video “Blood, Sweat and Tears” auf symbolische Bilder. Screenshot von “Blood, Sweat and Tears” Musikvideo © HYBE Labels
Vielleicht einer der wichtigsten Aspekte in Musikvideos und K-Pop Musikvideos im Spezifischen ist die Arbeit mit Licht. Zwar ist die Lichtgestaltung in jedem Musikvideo zentral, in K-Pop Videos jedoch werden mit Licht die einzelnen Künstler*innen auf eine einzigartige Weise dargestellt. Zugleich verschönert und weicht das Licht die Gesichtszüge aus und Künstler*innen treten so als ätherische Schönheiten auf. Aber auch Farben, Helligkeit, Narrativen und Konzepte gehören zu den Aufgabenbereichen des Lichtdesign Teams.

Screenshot von “Bambi” Musikvideo von EXO’s Baekhyun © SM Entertainment
Die Choreographie im Mittelpunk
Doch worin sich die meisten Regisseure einig sind, ist, dass es das Level an Performance ist, das charakteristisch für K-Pop ist. So st auch in der Phase der Pre-Produktion die Choreographie das vielleicht wichtigste Element, das ständig betont werden soll. Kinematograph*innen schauen sich die Choreographien hunderte Male an, um die Dynamiken, die Positionen und den Rhythmus so lebendig wie möglich darzustellen.

Stray Kids “God’s Menu”. Der Regisseur Bang Jae-Yeop arbeite er mit Techniken, die die Choreographie in das Zentrum des Videos rückten. Screenshot von “God’s Menu” Musikvideo © JYP Entertainment
Am Set mit dabei sind auch die Choreograph*innen, um nicht nur die Künstler*innen begleiten zu können, sondern auch gegeben falls das Team bei dem Dreh Rat zu stehen. Diese Choreographie aber wird zuerst von den Künstler*innen bis zul einem Monat einstudiert. Das teilweise die ganze Nacht lang.

Ausschnitt aus aespa“Black Mamba Dance Practice” © SM Entertainment
Das kreative Team hinter den Videos braucht meistens rund zwei Wochen für die Vorproduktion und sobald alles steht, fängt der Dreh an. Der braucht meistens rund zwei Tage. Manchmal aber kann das auch deutlich länger dauern, wenn Equipment zu verschiedenen Locations transportiert werden muss. Am Set selbst sind dann während des Drehs zwischen 50 und 100 Crewmitglieder; jeder noch so kleine Fehler verzögert den Prozess.
Die Post-Production dauert anschließend wieder zwischen zwei Wochen und einem Monat. In dieser Zeit wird das Rohmaterial verarbeitet, geschnitten, nachbearbeitet etc. Während manche Produzenten es bevorzugen graphisch die kreativen Konzepte weiterzuentwickeln, bevorzugen andere das Spiel mit der Technik. Beomjin J und sein Team setzten in Blackpinks Musikvideo “Whistle” auf beides. Über 20 Sets wurden für das nicht einmal vierminütige Video verwendet. Im Vergleich dazu: In den meisten amerikanischen Musikvideos kommen 4, maximal 5 Sets zur Verwendung. Die Sets in Whistle hingegen wechseln so schnell, dass man gegen Ende des Videos diese Anzahl bewusst nicht mehr wahrnimmt. So wird jedoch sichergestellt, dass die Aufmerksamkeit auf dem Video bleibt.

Kaum länger als 5 Sekunden sind die meisten Sets in “Whistle” von BLACKPINK zu sehen und dennoch stellt jeder Schnitt eine in sich schlüssige Komposition dar. Screenshot von ”Whistle” Musikvideo © YG Entertainment
Perfektionierung, Exzellenz und Komplexität – Das neue Modell?
Diese Arbeitsschritte führen alle zusammen zu einem Video das visuell unglaublich komplex ist. Es ist diese Komplexität, die K-Pop Musikvideos auszeichnet und wenig Zeit für Langeweile übriglässt. Jedes Set setzt sich vom vorherigen ab, in dem es einerseits realgetreu oder bedeutungsgeladen ist, oder aber in der Postproduktion nachbearbeitet wird. Um erneut auf “Whistle zurückzukommen: In einer Szene sitzt das Mitglied Rosé auf einer Erdkugel. Die Belichtung und das Color-grading lassen es so aussehen, als ob sie tatsächlich im Weltall auf dem Planet Erde sitzt und die Sonne sie von hinten beleuchtet. Die Kugel selbst besteht aus verschiedenen sich bewegenden Schichten.

Ausschnitt aus BLACKPINK “Whistle” © YG Entertainment
Diese Arbeit an jedem einzelnen Schnitt ist fordernd und zeitaufwendig, schafft aber, um den Videoregisseur Josh Olufemii zu zitieren [5], jedes Mal eine Kultur der “Excellence” mit. Diese Exzellenz zieht sich durch alle Aspekte. Von der Produktion und Aufnahme des Liedes, der Synchronisierung von komplexen Choreographien bis hin zum Schneiden des Musikvideos.
All das beeinflusst die globale Musikindustrie. Es ist davon auszugehen, dass K-Pop Musikvideos das Modell werden. Die Zahlen sprechen für sich, aber diese Zahlen selbst sind das Resultat von einem deutlich höheren Budget, mehr Sets, mehr Editing und mehr Engagement mit Fans. Relevanz und Wettbewerb sind global zu denken. Um also mit K-Pop Musikvideos mithalten zu können, wird wohl das Level an Produktion in der amerikanischen Musikindustrie wieder steigen müssen. Für die Welt der Musikvideos sind das gute Nachrichten. Musikvideos als eigene Kunstform können so neue Höhen erreichen.