Von Gastautorin Elif Koca (Koreanologie-Studentin der Universität Wien)

Quelle: Korean Literature Now
Mit ihren unverkennbaren Stilen und Sprachspielen gewinnen weibliche koreanische Dichterinnen immer mehr internationale Anerkennung.
Wir haben uns die Werke von drei der aufregendsten Dichterinnen aus Korean angesehen, deren Gedichte gesammelt in einem Band erhältlich sind.
Ganz ohne sie unter einem Titel vereinheitlichen zu versuchen, erlaubt die Gedichtsammlung einen Einblick in das lyrische Schaffen der drei Frauen. Ins Englische übersetzt sind die Gedichte von Jiyoon Lee, Don Mee Choi, Jake Levine and Johannes Göransson, die alle neben ihrer Tätigkeit als Übersetzer*innen auch kreativ schreiben.
Auf dem Cover des Bandes ist die Multimedia Installation Fi Jae Lees, betitelt “The Whole World on my Body”, also die ganze Welt auf meinem Körper, zu sehen. Tatsächlich befindet sich da eine ganze, rosarote Welt um und auf dem Körper dieser Installation. Thematisch passt das zu den Gedichten. Es geht um Körper, um Beziehungen und leben in einer Gesellschaft.

Ausschnitt des Mixed Media Kunstwerk von Lee Fi Jae, betitelt “The Whole World on My Body” am Cover des Buches, Quelle: Warscapes
Die Dichterinnen verbindet nicht viel. Die Schreibstile stechen sich, die Erfahrungen ähneln einander nicht und dennoch: die Gedichte tragen Chaos in sich. Chaos, das dieselbe Ordnung verwüstet.
Diese Ordnung ist einerseits die patriarchale Gesellschaft, andererseits die Literaturszene als solche. Denn Frauen haben es in der koreanischen Literaturszene nicht leicht. Die Szene ist, wie so viele andere, von männlichen Stimmen dominiert. Weibliche Dichterinnen werden bewusst an den Rand der Szene gedrückt.
So erzählt Kim Yideum, wie sie bei Konferenzen von männlichen Kollegen unterbrochen und beleidigt wurde, oder wie sie ihre Gedichte nicht zu Ende vortragen durfte. Die Gedichte der drei Lyrikerinnen, aber auch unzähliger anderen wehren sich dagegen und stellen sich bewusst gegen die Tradition in der Dichtung, um weibliche Stimmen zu Wort kommen zu lassen.
Jack Levine schreibt in der Einleitung, dass jede der Dichterinnen auf ihre eigene Art die patriarchale Autorität untergräbt, indem sie die absurde Natur der Erwartungen an Geschlechter darlegen. Er schreibt, dass Dichtung auch immer Geschichtsschreibung sei und so wie Geschichte hier geschrieben ist, man zeitgenössisches Leben mitsamt dem Chaos am besten versteht.
Gerade deshalb lohnt sich ein Blick in die Gedichtsammlung, um abseits der dominierenden und repetitiven Geschlechterbilder, eine Erfahrungswelt kennenzulernen, die vielschichtig und ambivalent ist.
Doch wer sind diese Dichterinnen also überhaupt und wie schreiben sie nun über dieses Chaos und ihre Erfahrungen?
Kim Yi-deum
“Ich werde mehr und mehr obszön”, so Kim in einem ihrer Gedichte. Antipoetisch schreibt sie. Also Sprache, die nur bedingt an Dichtung erinnert, gesprochene Sprache feiert, ironisch und vulgär ist. Bei ihr ist das lyrische Ich mal eine Prostituierte, mal ein Obdachloser, mal eine Minderheit. Sie will bewusst lyrisch zeigen, dass diese Leben wertvoll sind und dass ihre Leben auch geschrieben werden dürfen und sollten.
Zugleich sind, so die Autorin selbst, ihre Texte schmutzig. Vielleicht gerade, weil sie nach Realität greifen und Erfahrungen eindringlich beschreiben. Wenn Kim also in ihren Gedichten über sexuelle Belästigung schreibt, dann schreibt sie wütend und ehrlich. Dann schreibt sie, dass sie “mit Zähnen zerreißen will”, dass sie “dich in dieser zu schnell fahrenden U-Bahn zu Tode auseinanderreißen will”. Erfahrungen fließen in Albträume und in Wut und wieder zu den greifbaren Situationen zurück.

Quelle: Jungdoilbo
Es verwundert nicht, dass ihre übersetzten Gedichtsammlungen bereits diverse Auszeichnungen gewonnen haben. Aber auch in Korea selbst fand sie im Laufe ihrer Karriere die Anerkennung, die ihr zusteht. Nach dem Erfolg ihrer übersetzten Gedichtsammlung “Hysteria”, wurde sie nach fast 20 Jahren als Dichterin zu einem “Star der Literaturszene”. Zum Leben reicht das aber nicht.
Auch hiervon spricht Kim oft, über das Leben abseits des Schreibtisches. Sie unterrichtet an einer Universität und hat vor zwei Jahren ein Café eröffnet, um finanziell freier zu leben und ihre kleine literarische Welt um sich aufzubauen.
Auf der Website der Digital Library of Korea kann man unter anderem“Blood Sisters” von ihr als E-Book lesen. Hier erzählt eine Studentin in den 1980ern von ihren Bemühungen ein Leben für sich selbst aufzubauen. Das, trotz oder gerade aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten der Zeit.
Kim Min Jeong

Quelle: Khan
So wie Kim Yi-deum, stehen auch bei Kim Min Jeong Erfahrungen großgeschrieben. Sie hat das Studium abgebrochen, sich bewusst von literarischen Schulen abgewandt, macht was sie will und schreibt für niemanden. Doch so ganz freiwillig brach die Dichterin die Uni nicht ab.
Sie ging an eine Uni, an der man so schreiben musste, wie die Professoren (es waren nur männliche) wollten, um nicht durchzufallen. Deshalb entschied sie sich dafür, den traditionellen Weg hinter sich zu lassen. Was darauf folgte war Miraepa, man könnte auch sagen die koreanische Avant-garde der Lyrik, deren Mitbegründerin sie war. Für sie bedeutete die Schule die vollkommene Befreiung der Kunst, oder der Künstlerin/des Künstlers, um es genauer zu sagen. Miraepa feiert die Individualität und die Kunst als Selbstzweck. Mit diesem Motto veränderten die Dichterinnen und Dichter die koreanische Lyrik als solche, ohne gemeinsame charakteristische Eigenschaften zu brauchen.

Quelle: Kim Min Jeong Twitter @blackinana
In ihren Gedichten ist diese Haltung spürbar. Da spricht ein lyrisches Ich, das fragt, anklagt, das beobachtet und spürt. Es ist vor Allem dieses Spüren, das ihre Lyrik kennzeichnet, denn Kim schreibt bewusst aus dem Körper heraus. Das Leibliche knüpft an Chaos, nennt es beim Namen und gibt ihm Gesichter. So schreibt sie “Während der Gürtel um meinen Hals enger wird / starrte ich einfach nur” und endet mit einem Ausruf “Sag Hallo zu dem neuen Ich”. Das ist das erste Gedicht in ihrem Abschnitt der Sammlung, betitelt “Finale”, in dem sie sich selbst in der Zerstörung findet, zugleich aber Selbstfindung ironisiert.
Bei ihr wird Unordnung normalisiert und das moderne Leben wird eben dadurch in ein neues Licht gerückt. Sie destabilisiert gesellschaftliche Ordnungen, in dem sie nicht versucht über sie hinweg zu schreiben. Ganz im Gegenteil verwendet sie Slang, Wortspiele, kulturelle Referenzen, “männliche” Sprache und allen voran Humor. Sie spricht von der Kirschen Saison und von männlichen Frauenbildern zugleich und dann zugleich über sexuelle Lust und Unlust. Kim Min Jeongs Gedichte sind amüsant und grotesk zugleich. Das macht die Übersetzung einerseits schwieriger, andererseits spannender.
Kim Haengsook

Quelle: KLN
Deutlich sanftmütiger schreibt Kim Haengsook. Sie kontempliert Gegensätze und schafft so einen ganz neuen Weg und Bezug zur Lyrik. Ihre Gedichte scheinen auf den ersten Blick verträumt und simpel. Blickt man jedoch genauer auf ihre Sprache, so erkennt man alsbald, dass diese allzu sensible Sprache Erfahrungen auseinanderreißt und sie so neu beleuchtet. Dieser Stil ist ihr eigen und macht sie zu einer der bekanntesten koreanischen Dichterinnen der Gegenwart.
Im Mittelpunkt ihrer Gedichtsammlung “Das Vermögen der Trennung” stehen die Motive Begegnungen, Abschiede und Gesichter. In ihrem Gedicht “Der Fall des Gesichtes” schreibt sie wie sich bekannte Gesichter verschieben und nach dem Wiedertreffen wie neu auf einander geklebt sind. Da ist zum Beispiel die Nase neu und nicht ganz am richtigen Ort. Sie schreibt, “Meine Nasenlöcher waren begraben/ Ich habe in einer Welt ohne Geruch gefrühstückt”. Als einzelnes Bild ergibt das vielleicht nur bedingt Sinn, im Gedicht wird so aber die Gefühlswelt durch die Sinne selbst angesprochen. Ihre Gedichte kommunizieren miteinander und bilden ihre ganz eigene Logik.

Quelle: Kyongbuk
In der Gedichtsammlung der drei Lyrikerinnen bilden ihre Gedichte den Abschluss. Das Motiv “Weg” steht hier im Vordergrund. Sie schreibt über den Tod und über Kinder, schreibt über Unterwasser singende Kinder, ihre Lippen immer wieder zu “Mutter…. Mutter…Mutter…formend/ wie atmende Fische”. In der nächsten Zeile schreibt sie über Wasser als Leben und als Gefahr. Man stolpert über ihre sprachlichen Bilder und verliert Halt. Gerade hierin liegt die Stärke ihrer Sprache. Man liest sie nicht mehr als vollständiges Subjekt, sondern als Raum für Wahrnehmung und Erfahrungen.
Während also Kim Yi-deum und Kim Min Jeong die Dinge beim Namen nennen, stellt Kim Haengsook Fragen an den Namen selbst. Diese Unterschiede in ihren Stilen, in ihren literarischen Hintergründen und Motiven, ist es was diese Sammlung so spannend macht. Sie zeigt die Schönheit und Stärke der Dichtung in ihren Gegensätzen. Zeigt zugleich aber das Potenzial der Lyrik, indem sie Traditionen, Autoritäten und vor Allem die Sprache, die das alles erst möglich macht für sich beansprucht und ihr im Sprachspiel den Spiegel vorhält.
Erhältlich ist der Band vorerst nur auf Englisch.